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04.12.2024 22:48:38
Die 160 Gemeinden und Städte im Kanton Zürich waren seit letztem Herbst mit den Vorbereitungen auf eine Energiemangellage stark gefordert. Jörg Kündig, Präsident des Verbandes der Gemeindepräsidien des Kantons Zürich, stellt den Gemeinden und Städten für ihren Umgang mit der drohenden Energieknappheit ein gutes Zeugnis aus. Entwarnung gibt er – auch mit Blick auf die kommenden Winter – jedoch keine, sondern appelliert an die Verantwortlichen der Gemeinden, die Bemühungen zum Energiesparen fortzusetzen und ihre eigene Krisenreaktionsfähigkeit zu verbessern.
Wie gross ist in den Zürcher Gemeinden und Städten die Erleichterung, dass uns in diesem Winter mit grosser Wahrscheinlichkeit eine Energiemangellage erspart bleibt?
Die aktuelle Entspannung hat dem Thema etwas die Dringlichkeit genommen und die Erleichterung darüber ist spürbar – aber sie ist auch trügerisch. Denn sie darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die grundsätzlichen Fragen nicht gelöst sind und das Thema Energiemangel spätestens im nächsten Winter wieder akut werden wird.
Die Kommunen waren seit Herbst stark gefordert.
Ja, nach den lokalen Entscheiden über freiwillige Sparmassnahmen, deren Anordnung und Kommunikation, stellte sich für die Gemeinden und Städte die Frage nach dem Umgang mit schwerwiegenden Beeinträchtigungen der Stromversorgung bis hin zur Bewältigung von Blackouts.
Dabei wurden einige Gemeinden «auf dem falschen Fuss» erwischt?
Tatsächlich kam die Aufforderung des Bundes zum Ergreifen von Energiesparmassnahmen überraschend. In der Folge konzentrierten sich die Bemühungen der Gemeinden schwergewichtig auf das Umsetzen möglicher Sparmassnahmen. Gleichzeitig wurden dadurch grundsätzliche Lagebeurteilungen ausgelöst. Dabei stellten viele fest, dass die Gefahr von Versorgungslücken reell ist und der Bewältigung einer ernsthaften Strommangellage bisher zu wenig Beachtung geschenkt wurde – eine Erkenntnis, die durchaus erschreckend sein kann! Neben eher unpopulären Entscheiden, die es zu fällen und vor allem zu kommunizieren galt, war die Ermittlung eines umfassenden Lagebildes in der Gemeinde wohl die grösste Herausforderung.
Es gab aber auch regelrechte «Erfolgsgeschichten»: Die Stadt Schlieren z. B. hat im letzten Quartal 2022 bei der Wärme sagenhafte 40 Prozent an Energie eingespart.
Das ist ein Erfolg, zu dem nur gratuliert werden kann. Nicht nur der Energieverbrauch für Wärme konnte um 40 Prozent reduziert werden, der gesamte Stromverbrauch ging in Schlieren um 11 Prozent zurück. Das ist ein deutlicher Hinweis auf das Potenzial, das für Einsparungen vorhanden ist. Auch in anderen Gemeinden konnten zum Teil deutliche Verbesserungen erreicht werden. Ausserdem haben sie ihre Vorbildfunktion wahrgenommen und es ist zu hoffen, dass der Ball von den privaten Haushaltungen aufgenommen wurde und sie ähnlich erfolgreich an der Verbesserung ihrer Energiebilanz gewirkt haben. Und wünschenswert ist vor allem, dass der erzielte Effekt auch nachhaltig ist.
Was klappt in den Gemeinden schon gut in Bezug auf die Bewältigung von Krisen? Und wo müssen noch Verbesserungen vorgenommen werden?
Es gilt zu unterscheiden zwischen der Bewältigung einer aktuellen Krisensituation und vorbereitenden Überlegungen und Massnahmen für künftige Krisen. In den vergangenen Wochen standen vor allem die freiwilligen Sparbemühungen im Vordergrund. Die Krisenorganisationen der Gemeinden gelangten vielerorts zum Einsatz und zeigten sich absolut funktionsfähig. Es wurde gute Arbeit geleistet. Parallel dazu – und künftig noch ausgeprägter – geht es nun darum, vorauszudenken, mögliche Szenarien durchzuspielen, Mittel bereitzustellen und Massnahmen zu planen, die im Bedarfsfall ergriffen werden können. Gerade im Bereich dieser Eventualplanung, aber auch bezüglich der materiellen Bereitschaft gibt es noch Luft nach oben.
Was sind die wichtigsten Erkenntnisse auf Gemeindeebene?
Für mich gibt es zwei wichtige Erkenntnisse. Einerseits müssen sich unsere Krisenorganisationen auch auf kommunaler Ebene künftig vermehrt mit überraschenden Entwicklungen und Ereignissen auseinandersetzen. Das Motto muss sein: das Unmögliche denken. Andererseits haben wir bezüglich der Resilienz unserer Systeme und der Versorgung in der Vergangenheit eindeutig gesündigt. Nun müssen wird die vorhandenen Lücken finden und vor allem schliessen.
Ein wichtiger Punkt in den Notfallplänen der Gemeinden sind die Notfalltreffpunkte.
Solche Notfalltreffpunkte wurden bereits im letzten Jahr in allen Gemeinden geplant und eingerichtet. Sie sind ein wichtiger Teil der kommunalen Notfallpläne. Entscheidend ist, dass die Bevölkerung weiss, wo sich diese Notfalltreffpunkte befinden und wie sie zu erreichen sind. Sie müssen gut markiert und vor allem deren Besetzung durch Feuerwehr und Zivilschutz geübt werden. Notfalltreffpunkte signalisieren auch, dass sich die Gemeinden auf schwierige Situationen vorbereitet haben und sie sind als Anlauf- und Auskunftsstellen gerade in Krisen von grosser Bedeutung. Allerdings sind Notfalltreffpunkte nur ein Bestandteil der Notfallpläne, alleine reichen sie nicht aus für die Bewältigung einer Krise.
Ebenfalls ein wichtiges Thema in der Krise ist die Kommunikation mit der Bevölkerung, was macht diese so anspruchsvoll?
Gerade in ungewissen Lagen oder bei gefährlichen Ereignissen ist die Kommunikation zentral. Sie muss zeitgerecht und verlässlich sein und sollte regelmässig erfolgen. Das heisst, es braucht Kommunikationskonzepte, die insbesondere einer kurzen Reaktionszeit und dem gewünschten Zweck Rechnung tragen. Besonders anspruchsvoll ist die technische Seite der Kommunikation – also wie und mit welchen Mitteln erreiche ich möglichst die ganze Bevölkerung. Aber auch der zeitliche Aspekt und natürlich der Inhalt sind wichtig. Die zahlreichen Kanäle und Medien sind gezielt aufeinander abzustimmen. Es gilt, eine Kakophonie zu verhindern und die gewünschten Informationen kurz, konzentriert und vor allem objektiv zu vermitteln.
Wie haben die Einwohnerinnen und Einwohner der Zürcher Gemeinden reagiert? Wie sind z.B. die Energiesparmassnahmen aufgenommen worden?
Die Reaktionen waren zum grössten Teil gelassen, besonnen und situationsgerecht. Natürlich gab es auch Unverständnis und Angstreaktionen, aber in der Summe darf sich die Bilanz sehen lassen. Wichtiger und auch erwünschter Effekt war, dass das Bewusstsein zum Energiesparen gestärkt und das eigene Verhalten in den Haushalten und Unternehmen bezüglich Stromverbrauch hinterfragt wurde. Auch die Situation im öffentlichen Raum wurde neu und durchaus kritisch beurteilt. Es wurden aus der Bevölkerung viele Ideen zur Verbesserung bei den Gemeinden platziert und es ist zu erwarten, dass künftige Investitionen im Zusammenhang mit energetischen Massnahmen deutlich wohlwollender aufgenommen werden.
Das «Warum» des Energiesparens hat zwar nicht alle Menschen im gleichen Ausmass erreicht, aber immerhin ist es in der Summe gelungen, den Verbrauch wie gewünscht zurückzufahren.
Und die Wirtschaft im Kanton? Haben Unternehmen Sparpotenziale ausgelotet und vermehrt alternative Stromerzeugungsquellen in Betracht gezogen?
Die Preissituation, aber auch die Abhängigkeit von Stromlieferanten hat natürlich auch bei den Unternehmen zur Überprüfung und Neubeurteilung ihres Energiebedarfs und dessen Abdeckung geführt. Verschiedene Massnahmen wurden dort ergriffen, wo sie kurzfristig möglich waren. Vielen wurde aber auch bewusst, dass mittel- und längerfristige Investitionen nötig sind, die eigene Versorgungsautonomie zu sichern oder alternative Bezugs- oder Produktionsquellen zu erschliessen. Wir stehen hier am Anfang eines längeren Prozesses.
«Wichtig ist es jetzt, die Lehren zu ziehen, vorauszudenken, mögliche Szenarien durchzuspielen sowie Mittel bereitzustellen und Massnahmen zu planen, die im Bedarfsfall nötig sind.»
Experten gehen davon aus, dass die Energieversorgung in den nächsten ein, zwei Wintern kritisch bleibt. Wie können Gemeinden ihre Bevölkerung weiter sensibilisieren – wo in diesem Winter doch «nichts» passiert ist?
Das wird eine der grossen Herausforderungen werden. Das Thema Energiekrise könnte bald in den Hintergrund rücken oder zumindest für die nächsten Monate in Vergessenheit geraten. In den Gemeinden und Städten ist das Thema allerdings angekommen – bei Beratungen, beim Erteilen von Baubewilligungen usw. gehört die Energieeffizienz zu den Kernanliegen. Aber auch bei gemeindeeigenen Liegenschaften und anderen Infrastrukturen stehen Verbesserungen weit oben auf der Prioritätenliste. Zudem sollten die jetzt begonnenen Eventualplanungen abgeschlossen und allfällige Beschaffungs- und Investitionsprojekte initiiert werden. Das Einholen von Vollzugsmeldungen in diesem Bereich könnte ein probates Mittel sein, um die Zielerreichung – eine verbesserte Resilienz – zu prüfen.
Was ist diesbezüglich Ihr Appell an die Verantwortlichen in den Gemeinden und Städten des Kantons?
Die Gemeinden sollten die Lehren aus den vergangenen Wochen zusammentragen, ihre Analysen vertiefen und darauf basierend Verbesserungen angehen. Einerseits soll im Rahmen der Mittel- und Langfristplanung die eigene Infrastruktur auf einen geringeren Energieverbrauch und auf eine erhöhte Selbstversorgung ausgerichtet werden. Andererseits soll auch die Bevölkerung dazu anhalten werden, sich energiebewusster zu verhalten und zu leben. Weiter sind die Gemeinden und Städte aufgefordert, ihre eigene Krisenreaktionsfähigkeit zu verbessern und ihre Notfallpläne zu überarbeiten, so dass die Aufgabenerfüllung auch bei einer Strommangellage unverändert möglich sein wird.
Das Interview mit Jörg Kündig, Präsident Verband der Gemeindepräsidien Kanton Zürich, wurde auch auf der Website des Kantons Zürich zum Thema Energiemangellage publiziert:
https://www.zh.ch/de/news-uebersicht/mitteilungen/2023/umwelt-tiere/energieversorgung/interview-mit-gpv-praesident-joerg-kuendig.html
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