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«Lagebeurteilung Asyl»: Medienkonferenz vom 3.11.2023
Redetext von Jörg Kündig, Präsident Verband der Gemeindepräsidien des Kantons Zürich anlässlich der Medienkonferenz «Asyl- und Flüchtlingsbereich» vom 3. November 2023
Meine Damen und Herren
Das letzte Mal, als wir hier sassen, war es der 6. März 2023. Damals ging es um eine Erhöhung der Aufnahmequote für die Gemeinden von 0.9 auf 1.3%, die mit einer Frist von drei Monaten umzusetzen war. Heute besteht die Gelegenheit, über die aktuelle Situation zu sprechen, Herausforderungen zu adressieren, aber auch einen Blick in die nächste Geländekammer, das nächste Jahr zu wagen. Im März habe ich gesagt, ich würde hier alles andere als erfreut sitzen. Das ist jetzt nicht anders, denn die Situation ist alles andere als leicht – eher im Gegenteil.
Zur Situation
Die Erfüllungsquote der Gemeinden beträgt derzeit rund 1.2%. Damit nähert sie sich der Quote von 1.3%. Es entspricht der ursprünglichen Absicht, dass nicht schlagartig 1.3% – also 13 Schutzsuchende pro 1‘000 – aufgenommen werden, sondern dass sich die Erfüllung nach und nach über die Zeit ergibt. Die Quote von rund 1.2% entspricht einem Durchschnittswert, wohlverstanden. Einzelne Gemeinden haben eine höhere Quote, andere eine leicht tiefere.
Dazu ist festzuhalten:
- Wir publizieren die Zahlen pro Ort nicht, weil es jeweils Momentaufnahmen sind und weil es nicht sachdienlich ist, wenn die Gemeinden gegeneinander ausgespielt werden.
- Die Herausforderung besteht in der Unterbringung und den vielfach nicht vorhandenen Unterbringungsmöglichkeiten. Sie haben mich im März gehört und ich wieder hole das gerne: Wir haben keinen Wohnraum mehr im Kanton Zürich. Es verbleiben Zivilschutzanlagen und Container – letztere haben allerdings lange Lieferfristen. Vielleicht sind wir einmal genötigt, Armeezelte aufzustellen. Wir verlangen deshalb vom Bund – er steht in erster Linie in der Verantwortung –, dass er diese noch viel stärker wahrnimmt, nicht nur bezüglich der Gesuchsbehandlung wie es Regierungsrat Fehr ausgeführt hat, sondern auch bezüglich Unterbringung.
Bei der Unterbringung entstehen auch immer wieder Fragen nach der Gebundenheit der entstehenden Kosten. Gerne verweise ich auf die gesetzliche Grundlage. Gebundenheit heisst, dass die Gemeinden durch einen Rechtssatz, einen Gerichtsentscheid oder die Weisung einer Aufsichtsbehörde sachlich, zeitlich und örtlich keinen Entscheidungsspielraum haben.
Wissen Sie, wie die Ausgangslage für die Gemeinden ist? Theoretisch ist sie gut, denn wir versuchen ja, mit dem kantonalen Sozialamt und dem Sicherheitsdirektor ein gutes Einvernehmen zu haben. In der Praxis kann es jedoch bei Unterschreiten der Quote von 1.3% passieren, dass die entsprechende Gemeinde eine Telefonat erhält, in dem angekündigt wird, innert 5 Tagen oder sogar weniger seien die Asylsuchenden in Empfang zu nehmen und verzögerungsfrei unterzubringen. Ist das Zwang, eine Verpflichtung? Natürlich ist das so – ich glaube, niemand sieht das anders. Selbstverständlich sind die Gemeinden angehalten, Alternativen sorgfältig zu prüfen. Da braucht es möglicherweise noch Verbesserungen, aber das Negieren einer Verpflichtung und damit eines Sachzwanges wird der Sache und der Situation nicht gerecht.
Ausblick mit Sorgen
Die weltweiten Krisenherde haben sich nicht reduziert, sondern haben sich inzwischen leider noch vermehrt. Für uns ist die zu erwartende Entwicklung nicht nur nicht planbar, sondern auch sorgenvoll. Das heisst, es gibt keine Rückreisebewegung bei Asylsuchenden (Ein- und Ausreisen bei Status-S berechtigten Menschen – Ukrainerinnen und Ukrainer – halten sich in etwa die Waage, das heisst, derzeit reisen Menschen aus anderen Weltregionen ein), welche zu einer Entlastung der Gemeinden führt, und Neuankommende sind zusätzlich unterzubringen, zu betreuen oder einzuschulen.
Seitens der Gemeinden stellen wir deshalb folgende Forderungen:
- Eine Prognose muss endlich ausgearbeitet werden. Die Massnahmen 2023 basierten auf einer Einreiseprognose des Bundes (tief revidiert 21‘000, mittel 28‘000, hoch 35‘000). Das Szenario Mittel ist eingetroffen. Für den Kanton Zürich mit einem Schlüssel von 17.9% bedeutet dies die Aufnahme von 5‘000 Personen. Noch immer liegen keine Zahlen für 2024 vor, was für uns nicht akzeptabel ist.
- Das Rechenbeispiel ist einfach: Es droht eine Anpassung auf die Aufnahmequote im Kanton Zürich. Gleichzeitig sind Unterbringungen nicht mehr möglich – kurzfristig schon gar nicht – und schon gar nicht in Wohnungen. Selbst mit einer Vorlaufzeit von 6 Monaten könnte eine Unterbringung nicht garantiert werden (eine kürzere Frist wäre realitätsfremd und somit inakzeptabel).
- Ich wiederhole meine Forderungen gegenüber dem Bund. Er darf sich auch bei der Unterbringung nicht nur auf die Spitzen zu konzentrieren, sondern er hat grundsätzlich seine Aufgabe wahrzunehmen und auch die notwendigen personellen Ressourcen zu verstärken – auch zu Gunsten der Gemeinden.
- Wir erwarten auch von Bewilligungsinstanzen, damit meine ich insbesondere den Bereich Bau, aber auch von den Gerichtsbarkeiten, sich hinter das zu stellen, was es ist: eine gemeinsame Aufgabe.
Zum Schluss sei nochmals unterstrichen, dass in den Gemeinden sehr gute Arbeit geleistet wird. Einmal mehr ist es die unterste staatliche Ebene, die wichtige Aufgaben für unser Land übernimmt. Es ist mir ein Anliegen, ihnen dafür zu danken. Gleichzeitig soll abschliessend aber auch festgehalten werden: Die Belastungsfähigkeit der Gemeinden ist endlich.
Weitere Auskünfte
Jörg Kündig, Präsident GPV, GP Gossau, 079 412 58 61
Link zur Medienkonferenz:
Verbundaufgabe Asylwesen: Im Kanton Zürich machen alle Beteiligten ihren Job